Aus mein­er Sicht
Rot-Rot-Grün hat seine Hand­lungs­fähigkeit in Sach­sen längst bewiesen – die Ablö­sung der CDU wird an der Min­is­ter­präsi­den­ten-Frage nicht scheit­ern

Eine Partei, die ein Viertel­jahrhun­dert regiert, ist im Nor­mal­fall ver­braucht. Es sei denn, sie wird durch außergewöhn­liche Per­sön­lichkeit­en und Umstände in einem ständi­gen Erneuerung­sprozess gehal­ten. Unbeschadet aller grundle­gen­den poli­tis­chen Mei­n­ung­sun­ter­schiede kann man einen solchen Zus­tand für die neun­ziger Jahre und die Zeit unter einem Min­is­ter­präsi­den­ten Kurt Biedenkopf für Sach­sen fest­stellen – der kluge Pro­fes­sor mit seinen vie­len Visio­nen für die Zukun­ft hat nicht zulet­zt die eigene Partei vor sich her­getrieben. Davon kon­nte zwar schon unter Mil­bradt keine Rede mehr sein, aber immer­hin gebührt dem ehe­ma­li­gen Finanzmin­is­ter und Min­is­ter­präsi­den­ten das unbe­strit­tene Ver­di­enst, dem Freis­taat mit ein­er soli­den Finanzpoli­tik Hand­lungsspiel­räume eröffnet zu haben, die andere Län­der nicht haben. An diesem Vorzug haben auch wir als LINKE bzw. früher PDS nicht gerüt­telt und nun schon sieben­mal alter­na­tive Haushalt­san­sätze vorgelegt, deren Ver­wirk­lichung ohne zusät­zliche Neu­ver­schul­dung aus­gekom­men wäre.
In der Analyse der jün­geren säch­sis­chen, poli­tis­chen Ver­gan­gen­heit beste­ht zwis­chen dem Grü­nen Huber­tus Grass und seinem Beitrag „Nur Mut, Sach­sen!“ und mir eben­so weit­ge­hend Einigkeit wie in der Beschrei­bung der wichtig­sten Her­aus­forderun­gen Sach­sens, die eben unter ein­er von der CDU geführten Regierung defin­i­tiv nicht zu meis­tern sind. Und zwar ganz gle­ich, ob diese Partei weit­er mit der FDP, wieder mit der SPD oder gar mit den GRÜNEN regierte. Die CDU, die im Land­tagswahl­jahr 2014 fast ein Viertel­jahrhun­dert an der Regierung sein wird, set­zt in der Schlüs­sel­frage „Bil­dung oder Beton“ auf Betonköp­figkeit. Sie küm­mert sich zu spät und zu wenig um den Schul­haus­bau, aber über­haupt nicht um gle­iche Chan­cen für alle Kinder. Trau­rige Reko­rde bei den Schu­la­b­brecherzahlen sprechen eben­so Bände wie zu große Grup­pen in den Kitas, Unter­richt­saus­fall an den Schulen und über­füllte Hörsäle an den Unis.

Das Schöne ist, dass GRÜNE, SPD und LINKE beim Zukun­ft­s­the­ma Bil­dung prob­lem­los kom­pat­i­ble Stand­punk­te beziehen und sich auf ein gemein­sames Regierung­spro­gramm ver­ständi­gen kön­nten. Ob dann das gemein­same Ler­nen aller Kinder kün­ftig acht, neun oder zehn Jahre umfassen soll, wird uns nicht auseinan­der­di­vi­dieren. Gle­ich­es gilt auch für das The­ma öffentliche Sicher­heit. Hier sehe ich, ungeachtet aller unter­schiedlichen Akzente, nie­man­den in der demokratis­chen Oppo­si­tion, der den Per­son­al­ab­bau bei der Polizei, wie ihn die derzeit­ige Regierung vorantreibt, fort­set­zen will. Einig sind wir uns auch: Präven­tion muss kün­ftig Vor­rang vor Repres­sion und Überwachung haben, denn jede nicht began­gene Straftat ist ein Beitrag zu mehr Leben­squal­ität. Damit gibt es bei den bei­den The­men mit den größten Entschei­dungs­befug­nis­sen eines Bun­des­lan­des – Bil­dung und Polizei – eine gute Basis für den Poli­tik­wech­sel und eine Regierung ohne CDU.

Doch auch bei der Energiewende ver­läuft die Trennlin­ie zwis­chen CDU und FDP auf der einen sowie LINKEN, SPD und Grü­nen auf der anderen Seite. Rot-Rot-Grün ste­ht für eine forcierte Förderung der kli­ma- und umwelt­fre­undlichen erneuer­baren Energien, mit denen sich in Sach­sen immer mehr Arbeit­splätze schaf­fen lassen – ganz im Gegen­satz zur Braunkohle. Es ist ein Und­ing, dass mit­tel­ständis­che Wasserkraft­be­treiber nun eine Abgabe für Wasser­ent­nahme zahlen sollen, Konz­erne für Braunkohle­tage­baue aber nicht, obwohl hier­bei nicht nur Wass­er ent­nom­men, son­dern großflächig der Grund­wasser­spiegel durcheinan­derge­bracht und die Land­schaft ver­wüstet wird. So sieht Energiepoli­tik unter Regie der CDU und Mitwirkung der FDP aus.

Was die Energiepreise hochtreibt, ist die Ver­stop­fung der Net­ze durch Braunkohle­strom, der in Sach­sen gar nicht gebraucht wird. LINKE, SPD und GRÜNE stim­men bei allen Dif­feren­zen im Detail darin übere­in, dass der Ein­stieg in den Ausstieg aus der Braunkohlever­stro­mung jet­zt in Angriff genom­men wer­den muss, damit Sach­sen nicht vom tech­nol­o­gis­chen Vor­re­it­er zum Dinosauri­er und wirtschaftlich dem Nieder­gang preis­gegeben wird.
Rot-Rot-Grün ist keine fixe Idee, son­dern in Sach­sen eine mit­tler­weile hand­lungs­fähige Poli­tikalter­na­tive. Let­ztes Beispiel an dieser Stelle: Sach­sen ist Niedriglohn-Land, junge Fach­leute flücht­en vor schlechter Bezahlung in west­liche Bun­deslän­der oder ins Aus­land. Viele Men­schen müssen trotz Vol­lzeitar­beit­splätzen den Weg zum Amt antreten, um ergänzend Hartz IV zu bekom­men, weil sie von ihrer Arbeit nicht leben kön­nen. Die schwarz-gelbe Dump­in­glohn-Poli­tik ruiniert das Land. LINKE, SPD und DGB wollen dem bei der Ver­gabe öffentlich­er Aufträge mit einem gemein­sam erar­beit­eten Tariftreuege­setz ent­ge­gen­s­teuern: Wer Steuergelder ver­di­enen will, muss seine Leute anständig bezahlen und soziale Stan­dards ein­hal­ten. Und im Inter­esse dieser und kün­ftiger Gen­er­a­tio­nen auch ökol­o­gis­che Anforderun­gen, hier haben die GRÜNEN gute Anre­gun­gen gegeben. Und so find­et auch bei diesem The­ma trotz aller Unter­schiede die demokratis­che Oppo­si­tion zusam­men.

Sach­sen sind helle, und deshalb sollte säch­sis­ch­er Erfind­ergeist auch nicht vor der Lan­despoli­tik Halt machen. Ja, die Idee von Huber­tus Grass, einen „parteilosen Fach­mann“ bzw. eine Fach­frau an die Spitze ein­er rot-rot-grü­nen Regierung zu stellen, ist richtig gut. Er irrt übri­gens, wenn er meint, dass ich auf den „Ses­sel des Min­is­ter­präsi­den­ten“ hoffe. Ich hoffe, nein ich arbeite auf ein Ende der CDU-Herrschaft in Sach­sen hin und weiß, dass ich als Lan­des- und Frak­tionsvor­sitzen­der der stärk­sten Oppo­si­tion­spartei dafür etwas tun muss.

In Zeit­en wie diesen ist kein Platz für Eit­elkeit­en in der Poli­tik. Die Men­schen ger­ade auch in Sach­sen wollen kein Schaus­piel mit ewig lächel­n­dem Tillich und ein­er unendlich harm­losen Oppo­si­tion, die sich in fol­gen­los­er Besser­wis­serei erge­ht. Die Sach­sen wollen Per­son­al an der Spitze, das mit ihnen zusam­men – bitte viel mehr Bürg­er­beteili­gung und direk­te Demokratie als jet­zt! – die Prob­leme löst und wirk­lich dauer­hafte Per­spek­tiv­en gibt. Im Inter­esse dieser Sache, die alle Men­schen in Sach­sen ange­ht, sage ich – bewusst gegen alle Regeln des kon­ven­tionellen Parteipoli­tik-Pro­tokolls:

Wir soll­ten der verkrusteten Parteien­demokratie in ganz Deutsch­land ein leuch­t­en­des Beispiel geben: Eine Möglichkeit, mit der ich per­sön­lich gut leben kön­nte, bestünde darin, ein­er Per­sön­lichkeit die Richtlin­ienkom­pe­tenz ein­er kün­fti­gen rot-rot-grü­nen Regierung anzu­ver­trauen, die sozial sen­si­bel, kom­mu­nika­tiv stark, aus Erfahrung entschei­dungs­freudig, aber parteipoli­tisch unab­hängig ist. Damit kön­nen wir auch den vielbeschwore­nen Föder­al­is­mus in Deutsch­land mit wahrem Leben erfüllen – wir sind nicht die Erfül­lungs­ge­hil­fen von Parteizen­tralen, son­dern machen gemein­sam unser Ding für Sach­sen. Davon kann dann auch die säch­sis­che CDU viel ler­nen – in der Oppo­si­tion.

(Dieser Beitrag wurde unter ander­er Über­schrift zuerst in der Säch­sis­chen Zeitung vom 10.1.2013 veröf­fentlicht.)