Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Es gibt keine SIEger nach KRIEGEN – NIEdergang GENUG“
Verehrte Anwesende, lieber Klaus Schmidt!
Roger Willemsen hat vor wenigen Monaten sein Erfolgsbuch „Das Hohe Haus“ vorgelegt. Ein ganzes Jahr lang hat er die Debatten im Deutschen Bundestag verfolgt. Dabei hat er miterlebt, wie Gedenkpolitik funktioniert. Er stellt ihr am Beispiel einer Diskussion zum Jahrestag des „Ermächtigungsgesetzes“ ein vernichtendes Zeugnis aus. Zitat: „Gedenkstunden sind mitunter eine feierliche Form, durch Erinnern der Vergangenheit den Garaus zu machen“. Er schreibt, dass man bei der Betrachtung der Geschichte nicht „tiefgreifend differenziert“, sondern „agitatorisch zu wirken“ versuche. Gedenken erfolge pauschal, stereotyp, schablonenhaft. Wir alle kennen Glaubenssätze, ohne die kaum eine Gedenkrede auskommt: Es darf keinen Schlussstrich geben. Wir müssen gerade die jungen Menschen für Geschichte begeistern. Wir dürfen nicht verharmlosen oder verniedlichen.
Viel zu oft tritt das konkrete Erinnern, da muss man Willemsen zustimmen, hinter solche Bekenntnisse zurück. Man gibt sich allzu leicht damit zufrieden, das Selbstverständliche ausgesprochen zu haben. Noch schlimmer wird es, wenn sich eine polemische Auseinandersetzung anschließt. Dann wird versucht, Geschichte für Parteienstreit auszunutzen. Das verstellt den Blick auf Ursachen, Folgen, Zusammenhänge historischer Ereignisse. So kann Gedenken nicht erfolgreich sein. Schließlich geht es beim Blick in die Geschichte vor allem darum, Lehren zu ziehen. Diese Lerneffekte zerfallen aber, wenn Gedenken in Phrasen erstarrt. Es muss stattdessen vielseitig sein, konkret, lebensbezogen. Wie könnte das besser funktionieren als mit Bildern?
Ich freue mich außerordentlich, eine Ausstellung eröffnen zu dürfen, die eine Brücke aus der Vergangenheit ins Heute schlägt. Sie erfüllt alle Ansprüche an moderne Gedenkpolitik, die ich umrissen habe. Ihr doppelsinniger Titel – „Es gibt keine Sieger nach Kriegen – Niedergang genug“ – zeigt die Schwere und Ernsthaftigkeit ihres Themas: Krieg. Dieser ist, so Klaus Schmidt, eine „elendverheißende Schimäre“, die „Abwesenheit von Vernunft“, der „Rückfall des Menschen in seine niedersten Instinkte“.
Die Gewaltfrage zählt zu den größten Fragen, denen sich die Gesellschaft stellen muss, neben der Sozialen und der Ökologischen. Dieses große Gewicht des Ausstellungsthemas lässt die heutige Veranstaltung beinahe wirken, als falle sie aus der Zeit. Schließlich ist Tagespolitik so kurzatmig wie selten, wenn eine neue Wahlperiode beginnt. Warum also widmet sich die Linksfraktion gerade jetzt einem so kapitalen Thema? Die Antwort ist einfach. Wir wollen dafür sorgen, dass Politik eben nicht „auf Sicht fährt“, sondern die großen Fragen im Blick behält.
Daneben gibt es noch eine einfache Verbindung zwischen dieser schwermütigen Ausstellung und der schnelllebigen Gegenwart. Der Wahlkampf ist erst seit wenigen Tagen beendet. Er war wesentlich getragen von – Plakaten. Die Verbindung von Politik und Plakat ist, schon historisch gesehen, sehr eng, jedenfalls dort, wo nicht kommerzielle Interessen die Bilder bestimmen. Letzteres ist leider inzwischen die Regel. Deshalb fällt es auch Wahlplakaten immer schwerer, in der täglichen Werbeflut aufzufallen.
Über Plakate lässt sich trefflich streiten. Nur eines dürfen sie nicht sein: langweilig. Plakate sollen polarisieren, aber innerhalb der Grenzen des guten Geschmacks und des Grundgesetzes. Insbesondere die Schockwerbung des italienischen Bekleidungsunternehmens Benetton hat in der Vergangenheit wiederholt Skandale ausgelöst. Man hat dort zum Beispiel einen sterbenden AIDS-Kranken abgebildet oder einen Priester, der eine Nonne küsst. Für eines aber hat diese Werbung gesorgt: Aufmerksamkeit. Das nicht zuletzt, weil sie Widerspruch provoziert und Fragen aufgeworfen hat. Dass die Reklame von einem Unternehmen stammte, wirft aber ein Problem auf: Das der Kommerzialisierung. Sofern sich also politische Auseinandersetzungen aus den Plakaten ergaben, standen sie unter diesem Vorbehalt.
Politische Bild-Kunst abseits der Märkte wirkt ohne diese Grenze. Die Vorteile des Plakat-Formates genießt sie dennoch: Der Künstler kann Inhalte einprägsam präsentieren, kann provozieren, mehrdeutig oder eindeutig sein. Das Kunststück besteht darin, dem Bild einen tieferen Sinn zu verleihen. So lässt sich eine Botschaft übermitteln. Politik kommt nicht ohne Botschaften aus. Und manche von ihnen müssen immer wieder ausgesprochen werden – insbesondere die, dass Kriege enden müssen.
Das Jahr 2014 ist ein besonderes Gedenkjahr. Wir erinnern uns an den Beginn beider Weltkriege. Der erste, die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, begann vor einhundert Jahren. Er war, wie alle Kriege, unheimlich facettenreich. Er hat, ebenfalls wie alle anderen Kriege, sämtliche Bereiche im Leben der Beteiligten beeinflusst. Er war, wiederum wie alle anderen Kriege, die Folge komplexer Ereignisse. Und er hatte komplexe Folgen. Diese Vielseitigkeit spiegelt sich in der Ausstellung wider. Das ist kein Zufall. Schließlich bezwecken die Bilder von Klaus Schmidt eine „Plakat-Analyse“ der Gesellschaft. Das war schon bei seiner Exposition „Plakate über eine vieldeutige politische Landschaft“ der Fall, die 2010 auf unseren Fluren gastierte.
Die Vielfalt der Motive ist es auch, die die Ausstellung zu einem analytischen Werk macht. Sie betrachtet die Ursachen und die Schuldigen von Kriegen ebenso wie dessen Folgen. Dabei beschränkt sich Klaus Schmidt nicht auf die Weltkriege. Stattdessen präsentiert er ein Kompendium des Krieges, angefangen bei Napoleon und endend bei Konflikten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – Korea, Vietnam, Kambodscha. Klar benennt er die Rolle der Rüstungsindustriellen, die doppelt vom Krieg profitieren: Zum einen durch das Kriegsgeschäft, zum anderen durch ihr Überleben. Nachdem sie das Werkzeug zur Zerstörung lieferten, stoßen sie sich am Wiederaufbau ein zweites Mal gesund. Ebenso eindeutig zeigt Klaus Schmidt weitere Seiten des Krieges: Das Abschlachten. Die Ohnmacht der Soldaten. Millionen Totenköpfe unterm Hakenkreuz. Mütter, die Granaten und Opfer für die Kanonen liefern und als Trümmerfrauen enden.
Neben der Vielfalt der Motive gibt es auch Gemeinsamkeiten. Schon beim ersten Blick fühlt man sich unweigerlich an die Weimarer Republik erinnert und an den Stil, der ihre politischen Plakate prägte. Die Exposition verbreitet, ganz wie ihr Thema, Düsternis, Beklemmung, Trauer. Sie verzichtet auf alles Schöne, so wie ihr Gegenstand. Auch die Symbole sind eindeutig: Das Eiserne Kreuz. Das Hakenkreuz und viele Grabkreuze. Die Pickelhaube. Die Stahlhelme in der typischen deutschen Form, mit der erst Bundeswehr und NVA brachen. In der Gesamtschau bereiten die Motive beinahe körperlichen Schmerz. Ihr Thema fordert auch nichts anderes.
Auf einem Plakat steht zu lesen: „Requiem für gescheiterte Generationen“. Erich Maria Remarque hat ihnen mit „Im Westen nichts Neues“ ein Denkmal gesetzt. Heute stehen wir vor solchen Zeugnissen und können nur froh sein über die Gnade der späten Geburt. Sie hat uns zumindest auf diesem Flecken Erde den Krieg erspart.
Klaus Schmidt steht mit seinem Werk nicht allein. Er befasst sich nicht nur mit Geschichte, er setzt sie auch fort. Gerade in und nach der Weimarer Republik kam der Fotomontage, der politischen Grafik, der politischen Karikatur eine große Bedeutung zu. Weithin bekannt ist etwa ein Motiv des in Berlin geborenen „Meisters der Fotomontage“, John Heartfield. Es zierte 1934 den Titel der „Arbeiter Illustrierte Zeitung“. Darauf sehen wir Adolf Hitler, dem Joseph Goebbels einen Marx-Bart anheftet. Damit wird eine der größten Propagandalügen der Nazis entlarvt: Dass nämlich der Faschismus sozialistische Ziele verfolge, wie sie die Arbeiterbewegung hervorbrachte. Ein weiterer Vertreter dieser Kunst, wenn auch mit anderen Ausdrucksformen, war George Grosz. Er entwarf sozial- und gesellschaftskritische Plakatmalerei, die sehr treffsicher die damaligen Zustände entlarvte. Seine Darstellungen sind dabei mitunter besonders aggressiv und drastisch. In seinem 1926 entstandenen Werk „Die Stützen der Gesellschaft“ nimmt er Militär, Klerus und Kapitalismus aufs Korn. Er bezichtigt sie, kriegerische Auseinandersetzungen zu befördern. Gleichzeitig kritisiert er Klassengegensätze, verweist darauf, wer den freien Bürger an seiner Entfaltung hindert. Klaus Staeck indes, eher ein zeitgenössischer Vertreter politischer Bild-Kunst, setzt stärker auf Text. Damit schafft er eingängige Pointen: Eine stilisierte Villa überschreibt er mit „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“. Oder er bildet eine Männerriege im alten Bundestag ab und kommentiert: „Jeder zweite Abgeordnete ist eine Frau!“
Wie immer sie konkret gestaltet sind – Bilder vermitteln Politik schneller und leichter als Sprache. Sie können provozieren, Raum zur Interpretation geben oder knallharte Ansagen machen. Wir gewinnen durch sie neue Sichtweisen auf uns selbst und auf die Gesellschaft. Diese gute Tradition können wir hier und heute pflegen. Die Bilder von Klaus Schmidt stehen in Kontinuität mit der Arbeit von Heartfield, Grosz, Staeck und anderen. Es macht mich ein wenig stolz, dass wir eine Ausstellung von diesem künstlerischen Wert und dieser politischen Treffsicherheit bei uns zu Gast haben können. Dafür möchte ich Klaus Schmidt herzlich danken.
Vorhin habe ich davon gesprochen, dass diese Veranstaltung scheinbar aus der Zeit fällt. Das ist mitnichten so. In der Ukraine und im Irak etwa ist Krieg auch heute so, wie er immer war: menschenverachtend, allumfassend, unerbittlich. Kriege führen, zumal in einer Zeit der globalen Vernetzung, nicht nur an den eigentlichen Konfliktherden zu schlimmen Folgen. Wirtschaftliche Verwerfungen, soziale Katastrophen oder Flüchtlingsströme nehmen auch Staaten in die Verantwortung, die vom eigentlichen Krieg weder betroffen noch direkt an ihm beteiligt sind. Die Ukraine ist nicht weit von uns entfernt – wer einige hundert Kilometer ostwärts durch unseren Nachbarstaat Polen fährt, wird schon bald ihre Grenze erreichen. Mit Russland ist der Freistaat seit Jahren wirtschaftlich und kulturell verbunden. Wenn also der Bundespräsident, ausgerechnet in Danzig, eine unbesonnene Rede hält – und ihm die designierte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini auch noch beipflichtet –, ist die Sächsische Staatsregierung gefragt, zur Versachlichung zu mahnen. Das läge auch im Interesse der hiesigen Wirtschaft.
Die LINKE wird indes nicht müde, zu mahnen: Verhandeln, nicht zu den Waffen greifen, schon gar keine Waffen liefern! Es mag scheinen, als falle uns angesichts des Krieges nichts anderes ein. Wenn Gewalt droht, muss vernünftig handelnden Politikerinnen und Politikern zuallererst genau das einfallen. Es gibt keine Alternative zur friedlichen Konfliktlösung, es sei denn, es findet Völkermord statt. Doch auch dann darf Militär nur mit UNO-Mandat und ausschließlich zur Befriedung eingesetzt werden. Nicht aber, um wirtschaftliche oder nationalstaatliche Interessen durchzusetzen.
Der Irak ist ein scheiternder, ein zerfallender Staat. Daran trägt die westliche Staatengemeinschaft eine große Mitschuld. Nun müssen wir erleben, wie eine Terrorgruppe mordend durch das Land zieht. Wie es scheint, leisten einzig kurdische Milizen ihr noch Widerstand. Es droht Völkermord an Jesiden, Kurden und Moslems. Das ist ein Lehrbuchbeispiel für eine Situation, in der die internationale Staatengemeinschaft gefordert ist, den Menschen zu helfen. Aber wie?
Schnell wird der Ruf laut, Waffen und Kriegstechnik in die Region zu werfen. Damit könne schnell den Richtigen geholfen werden. Das aber würde die Fehler der Vergangenheit fortsetzen – allein schon, weil niemand kontrollieren kann, wo diese Waffen landen. Ich bin froh darüber, dass die Linksfraktion im Bundestag den Waffenlieferungen an die Kurden nicht zugestimmt hat. Es ist übrigens mitnichten so, dass diese Frage uns in Sachsen nichts angeht. Immerhin wird ein großer Teil des Materials über den Flughafen Leipzig auf die Reise gehen. Stattdessen hat die LINKE gefordert, den UN-Sicherheitsrat einzuberufen. Dieser kann bei „Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“ Zwangsmaßnahmen beschließen. Aber auch der „Einsatz von Streitkräften zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ kommt demnach in Frage.
Wer das Völkerrecht ernst nimmt, muss die UNO stärken. Die UNO selbst ist aber auch kein Allheilmittel, sondern reformbedürftig. Sie berücksichtigt noch zu stark die Interessen einzelner, vor allem wirtschaftsstarker, Nationalstaaten. Langfristig muss sie durch ein System kollektiver Sicherheit ersetzt werden. Dieses muss möglichst viele Staaten der Welt einbeziehen, die ihre Interessen dem Gemeinwohl unterstellen sollen. Dieses Bündnis braucht demokratische Strukturen, sichere Minderheitenrechte und hohe Hürden für den Einsatz von Streitkräften.
Das 20. Jahrhunderts war ein Jahrhundert der Kriege. Die größte globale Herausforderung des 21. Jahrhunderts besteht darin, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die es letztlich zum Jahrhundert des Friedens macht. In weiten Teilen Europas besteht diese Kooperation bereits. Diesem Ziel stehen allerdings Konflikte um Macht und Ressourcen entgegen. Trotz der inner-kontinentalen Befriedung sind einige der europäischen Mächte weiter an Kriegen beteiligt. Sollen wir deshalb resignieren? Sollen wir, weil sie allzu fern scheint, vom Ziel einer globalen Sicherheitsarchitektur ablassen? Ich sage: Nein! Wir dürfen niemals aufhören, mit ihrem Aufbau anzufangen.
Verehrte Anwesende! Halten wir das Erinnern konkret, verbinden wir es mit unserem Leben! Schärfen wir unseren Blick für die Ursachen von Gewalt, und verlieren wir ihre Folgen niemals aus den Augen. Unternehmen wir, was uns möglich ist, damit es künftig weniger Kriege gibt, derer später gedacht werden muss. Vielleicht muss dann auch Roger Willemsen nicht mehr so viele agitatorische Gedenkstunden erleben. Ich wünsche uns allen einen inspirierenden Gang durch diese bemerkenswerte Ausstellung.