Sachsen-Mythen in der Politik. Dichtung und Wahrheit Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V., am 24. Januar 2014

Sehr geehrte Damen und Her­ren, liebe Genossin­nen und Genossen,

vie­len Dank für die Ein­ladung und die Gele­gen­heit, heute zu Ihnen und euch sprechen zu kön­nen. Nun will ich am Beginn gle­ich klar stellen, dass ich den mir vorgegeben Titel zwar als Auf­trag ver­ste­he, aber deut­lich machen möchte, dass ich ihn in kein­er Weise durch  meine Aus­führun­gen gerecht wer­den kann. Warum? Der Ver­such ein­er Erk­lärung: Sach­sen ist neben Bay­ern das Muster­land in Fra­gen Finanzen, vor allem, was die Fra­gen der Ver­schul­dung ange­ht, wird behauptet. Wahr ist: Neben Bay­ern haben die Sach­sen die durch­schnit­tlich niedrig­ste Pro-Kopf-Ver­schul­dung im Ver­gle­ich der Bun­deslän­der.

Wahr ist auch, dass es Sach­sen war, welch­es als erstes Bun­des­land ihre in Not gekommene Lan­des­bank verkaufen musste und einen Schuld­schein von 2.75 Mil­liar­den Euro aus­gestellt hat, an dem das Land mit Steuergeldern immer noch abzahlen muss.

Trotz­dem gibt es den Mythos: Die Sach­sen kön­nen mit Geld umge­hen.

Was also tun?

Ein Mythos oder Mythen in der Poli­tik – egal welch­er Art diese Mythen sein mögen –, eine solche Verbindung klingt erst ein­mal sehr prob­lema­tisch.

Das gilt ins­beson­dere für all jene, die sich — wie wir LINKE – den Tra­di­tio­nen der Aufk­lärung auf gewisse Weise verpflichtet sehen. Was macht also ein link­er aufgek­lärter Zeitgenosse? Er klärt auf und argu­men­tiert gegen den Mythos.

Ich habe das vor ein paar Wochen bei mein­er dreiein­halb jährige Tochter ver­sucht. Nach dem ich ihr mehrfach „Rotkäp­pchen“ vorge­le­sen habe, hat sie mir mit voller Überzeu­gung erk­lärt: Papa, als ich mal im Wald war – meine Tochter war noch nie alleine im Wald –, habe ich einen riesi­gen Wolf gese­hen, und der wollte mich fressen, so meine Tochter.

Alle meine Ver­suche, ihr klar zu machen, dass das gar nicht geht, nicht stimmt, wur­den mit der Bemerkung abge­bügelt: Papa, du erzählst Quatsch!

Also mit „Mythen“ verbinden nicht nur Kinder Dinge aus dem Bere­ich des Religiösen, des Glaubens  oder meinetwe­gen von erzge­bir­gis­chen Berggeis­tern.

In der Gegen­wart der Poli­tik wird ja allen­thal­ben behauptet, dass jed­er einzelne Vorschlag, jede Idee und jedes Konzept Aus­fluss höch­stqual­i­fiziert­er Ver­nun­ft ist.

Okay, dass lassen wir jet­zt mal so ste­hen.

Das äußert sich dann darin, dass exponierte Träger der Ver­nun­ft zu Schöpfern von solchen Ideen und Konzepten gemacht wer­den.

Jede und jed­er hier im Raum  erin­nert sich gewiss noch an diverse Kom­mis­sio­nen, die dann in Kurz­form ja auch nach den jew­eili­gen Über-Experten benan­nt wur­den, also

Rürup-Kom­mis­sion, Hartz-Kom­mis­sion oder Riester-Eichel-Kom­mis­sion.

Manch­mal sind dann die Ergeb­nisse poli­tis­ch­er Analyse und Konzep­tar­beit sog­ar so erhaben, dass von ihnen behauptet wird, sie seien „alter­na­tiv­los“, wie das ins­beson­dere Kan­z­lerin Merkel, aber auch Ger­hard Schröder des Öfteren getan hat.

Genau an dieser Stelle wird jedoch deut­lich, dass ger­ade in der so geart­eten Inanspruch­nahme von Ver­nun­ft und  Ratio­nal­ität, von wis­senschaftlichem Denken durch die Poli­tik eine andere Form von Mythos geschaf­fen bzw. erhal­ten wird.

Näm­lich der Mythos ein­er ver­meintlich objek­tiv­en Wahrheit jen­seits konkreter Inter­essen.

Der Anspruch des poli­tis­chen Dialoges wird sekundär, fällt hin­ter den tiefen Erken­nt­nis­sen der Wis­senschaft zurück und kann deren Höhe bzw. ana­lytis­che Tiefe gar nicht mehr erre­ichen.

Wer sich dann allerd­ings im Nach­gang viel­er solch­er Entschei­dun­gen, die von Expertenkom­mis­sio­nen erar­beit­et wur­den anschaut, kann darüber fast nur bit­ter lachen. Nehmen wir als Beispiel die vor­ma­lige Hartz-Kom­mis­sion – und hier geht es mir an dieser Stelle nicht  um die poli­tis­che Bew­er­tung dieser Refor­men. Nein, ein­fach die handw­erk­liche Qual­ität dieser Geset­zge­bung, die ja als alter­na­tiv­los für unser Land beze­ich­net wurde. Das Urteil beispiel­sweise der Zeitschrift „brand eins“ lautet

„Pfusch erster Güte“.

Bestätigt wird dies durch die dann jahre­lang andauernde Reparat­u­rar­beit an diversen Regelun­gen, um diese über­haupt prak­tisch zu machen.

In ein­er fast bizarr anmu­ten­den Gegenüber­stel­lung sehen wir  auf der einen Seite die Behaup­tung  größt­möglich­er Exper­tise, oft mit viel Brim­bo­ri­um präsen­tiert – und dann doch eine Wirk­lichkeit, in der sicht­bar wird, dass alle nur mit Wass­er kochen und sehr viele mit ver­dammt wenig Wass­er.

Das hoff­nungsvoll stim­mende beste­ht dann doch darin, schon in der mit­tleren Frist eine Entza­uberung ein­er der­ar­tig entrück­ten Poli­tik beobacht­en zu kön­nen, die sich allerd­ings dann häu­fig in ein­er sehr grund­sät­zlichen Kri­tik und Dis­tanzierung von Poli­tik und Poli­tik­erin­nen äußert.

Das wird auch durch die Begrif­flichkeit­en deut­lich. Mit dem Begriff Hartz-Geset­ze wurde und wird der Ein­druck ver­mit­telt, dass es nicht das Par­la­ment war, das das Gesetz erlassen hat, son­dern der Experte, man hat als Poli­tik­er also nichts mehr damit zu tun.

 

Sehr geehrte Damen und Her­ren,

Die Mythen, oft genug auch die Selb­st­mythi­fizierung des gegen­wär­ti­gen poli­tis­chen Raumes, haben oft genug eher den Charak­ter ein­er Farce als ein­er großen Tragödie.

Einem mehr oder weniger vernün­fti­gen Men­schen erscheinen dann die Bilder, mit denen gesprochen wird, als leicht durch­schaubar, manch­mal als Ironie, als Witz. „Mut­ti“ Merkel – wer hat darüber nicht schon gelächelt oder eben Kapitän Merkel, die mit der MS „Deutsch­land“ auf Sicht in unbekan­nten Gewässern navigiert.

Oder, und damit bewe­gen wir uns hier­her zurück nach Sach­sen, der Nach­wen­de­mythos vom säch­sis­chen Lan­des­vater „König Kurt“.

Einst, so die dama­lige Nachrede, auf der Flucht vor der inner­parteilichen Konkur­renz in sein­er  nor­drhein­west­fälis­chen Heimat und nach dem gescheit­erten Putsch gegen Hel­mut Kohl, tauchte er hier in Leipzig mit ein­er Gast­pro­fes­sur für Volk­swirtschaft auf.

Ins­beson­dere Peter Porsch hat­te ja dann über ein Jahrzehnt lang die Gele­gen­heit, sich mit Kurt Biedenkopf als säch­sis­chem Min­is­ter­präsi­den­ten auseinan­derzuset­zen. Und, das hat der Peter richtig gut gemacht.

Die  Geschichte des Nach­wen­de­jahrzehntes in der säch­sis­chen Poli­tik ist in vie­len Aspek­ten noch zu schreiben. Ins­beson­dere mit dem Blick auf die wiederum enorme Fall­höhe, die zwis­chen dem Mythos des säch­sis­chen „König Kurt“ ein­er­seits und seinem Ende, dass ja, um im Bilde zu bleiben, fast voll­ständig von seinem Hof­s­taat betrieben wurde, beste­ht.

Aber eines ist den­noch inter­es­sant: Auch wenn die PDS es geschafft hat­te, ihre Wahlergeb­nisse von 1990 in den darauf­fol­gen­den Jahren zu ver­dop­peln – eine Leis­tung, die uns gar nie­mand zuge­traut hat­te, im Gegen­teil, wir waren ja in den Augen der Konkur­renz und der veröf­fentlicht­en Mei­n­ung so eine Art poli­tis­ch­er Untot­er, eine Partei, die nur noch nicht gemerkt hat­te, dass sie eigentlich schon tot ist.

Jeden­falls auch wenn wir als PDS unseren Teil an der Verän­derung der poli­tis­chen Land­schaft geleis­tet hat­ten – Kurt Biedenkopf und die öffentliche Mei­n­ung über seine Per­son und sein Wirken – und damit auch die Mys­ti­fizierung sein­er Per­son – wurde nicht durch Wahlen abgelöst. Son­dern eigentlich durch eine Revolte am Hof­s­taat von König Kurt und durch die Arro­ganz der Königsmut­ter, wegen der ver­sucht­en Schnäp­pchen­jägerei in einem Möbel­haus.

Genau in diesem Zusam­men­hang wurde der Mythos vom güti­gen, klu­gen und fleißi­gen „König Kurt“  zer­stört.

An dieser Stelle ist es jedoch möglich, auf einen weit­eren  Mythos in der säch­sis­chen Poli­tik hinzuweisen, näm­lich den Mythos der „Säch­sis­chen Union“.

Dreimal hin­tere­inan­der hat­te die CDU unter Biedenkopf die absolute Mehrheit geholt. Die Behaup­tung, der Mythos bestand nun darin, zu glauben, zu ver­muten, zu hof­fen, dass so genan­nte bayrische Ver­hält­nisse hier in Sach­sen herrschen wür­den. Dass es also nicht oder nur zum Teil Biedenkopf zu ver­danken sei, nahezu 60% bei diversen Wahlen hier geholt zu haben, son­dern dass dies mit­tler­weile ein der CDU zuk­om­mender Stim­man­teil sei.

Dementsprechend führte und führt sich ja die Union hier immer noch auf. Doch in dieser Selb­st­stil­isierung hat sich die Nach-Biedenkopf-CDU in Sach­sen bish­er doch getäuscht.

Der Absturz von den ein­st­ma­li­gen fast Zwei-Drit­tel-Mehrheit­en auf die Vierzig-Prozent­marke ist weit­er­hin als eine der her­aus­ra­gen­den Verän­derun­gen der poli­tis­chen Land­schaft in einem Bun­des­land zu beze­ich­nen.

Dies war 2004, trotz Angrif­f­en weit unter der Gürtellinie, auch ganz wesentlich Peter Porsch zu ver­danken.

Mythen lösen sich nicht ein­fach auf, son­dern sie müssen zer­stört wer­den, deswe­gen werde ich wohl in Kürze mal mit mein­er Tochter in die Lausitz fahren müssen, um den Wolf zu find­en.

Damit komme ich zum Ende meines kurzen Beitrags. Denn auch wenn wir den Begriff des „Dialogs“ in Sach­sen sehr ernst nehmen: von dieser Kon­ferenz erwarte ich deut­lich mehr, als dass die doch wei­thin bekan­nten Analy­sen mein­er Partei und Frak­tion im Vorder­grund ste­hen soll­ten.

Näm­lich nicht die bil­li­gen und doch recht leicht durch­schaubaren Selb­st­be­weihräucherun­gen der jew­eili­gen Lan­desregierung auseinan­derzunehmen.

Das sind so die klas­sis­chen Bilder: Diese und jene Kennz­if­fer, jenes Ele­ment beim Abschnei­den beim PISA-Test, diese oder jene Ansied­lung usw. usf – die vie­len Sachen eben, die immer mit Sta­tis­tiken gemacht wer­den, mit denen diese Behörde und jenes Min­is­teri­um den durch­schla­gen­den Erfolg des eige­nen Han­delns bele­gen.

Das sind näm­lich in Wirk­lichkeit keine Sach­sen-Mythen, son­dern das ist der Modus des Poli­tis­chen unter gegen­wär­ti­gen Bedin­gun­gen in Sach­sen. Eigentlich ist das ja ein trau­riger Zus­tand —  das sich Poli­tik­er und Poli­tik­erin­nen zu ihrer Arbeit so ver­hal­ten, als wäre sie Unternehmer, die ein Pro­dukt an möglichst viele verkaufen müssten, aber das ist ein anderes The­ma.

Vielmehr bin ich sehr ges­pan­nt auf die doch tiefer­ge­hen­den Analy­sen, die nicht auf die bizarre Farce der poli­tis­chen Selb­st­be­weihräucherung einge­hen, son­dern zum Beispiel das The­ma der Iden­tität von Men­schen, von sozialen Zusam­men­hän­gen aufnehmen und eben von deren Miss­brauch.

Denn, auch wenn dies in linken Zusam­men­hän­gen nicht immer auf ungeteilte Zus­tim­mung stößt, sind Iden­tität und Heimat mehr als Tra­cht­enkult und Heimat­tümelei.

Uns Men­schen ist es eingeschrieben, dass wir soziale Wesen sind.

Und das heißt, dass das „Dazuge­hören“ zu Kollek­tiv­en, Mannschaften, Gemein­den oder Gemein­schaften für uns eine wesentliche Sache ist.

Sozialer Zusam­men­halt ist heutzu­tage nicht nur in herkömm­lichen  Zusam­men­hän­gen möglich, das ist gut so. Ins­beson­dere in ein­er Großs­tadt wie Leipzig bilden sich span­nende neue soziale Zusam­men­hänge, die viel auch mit bewussten Entschei­dun­gen von Men­schen zu tun haben, oft auch mit Brüchen.

Und den­noch: Es ste­ht nie­man­dem gut an, sich darüber zu erheben, wie andere leben und leben wollen, wie sie sich und ihre Mit­men­schen iden­ti­fizieren, was ihr Selb­st­bild und ihr eigenes Leben ist.

Ich bin sehr ges­pan­nt auf die nach­fol­gen­den Beiträge und bedanke mich noch mal für die Gele­gen­heit, dass ich  hier sprechen kon­nte.

Danke