Nach Clausnitz und Bautzen Konsequenzen ziehen – so geht sächsisch nicht mehr / Zivilgesellschaft stärken!

Meine Rede in der heuti­gen Son­der­sitzung des Par­la­ments zum Antrag von LINKEN und GRÜNEN „Nach Claus­nitz und Bautzen: Bedauern reicht nicht, die Staat­sregierung muss endlich aufwachen – Hal­tung zeigen, Zivilge­sellschaft unter­stützen, demokratis­chen Rechtsstaat stärken“ (Land­tags-Druck­sache 6/4364) und mit Regierungserk­lärung des Min­is­ter­präsi­den­ten Stanis­law Tillich (CDU) zum The­ma „Stark­er Staat und aktive Bürg­er: Gemein­sam unsere Werte vertei­di­gen und Radikalisierung bekämpfen“:

(Es gilt das gesproch­ene Wort!)

Ich werde heute hier kein all­ge­meines Sach­sen-Bash­ing betreiben. Ich kann mich ja auch kaum hin­stellen und sagen: Mit Sach­sen habe ich nichts zu tun. Meine regionale Herkun­ft liegt mir immer auf der Zunge und dazu ste­he ich auch in schwieri­gen Zeit­en.

Ja, der Freis­taat Sach­sen hat ein immenses Imageprob­lem: Die einen kön­nen nicht ver­ste­hen, was bei uns abge­ht, und die anderen machen sich über uns nur noch lustig, wie am Fre­itagabend in der „Heute-Show“.

Sie, Herr Min­is­ter­präsi­dent, meinen, es sind nur einige wenige, die uns dieses Prob­lem machen. Viele Sach­sen wiederum ver­ste­hen über­haupt nicht, warum wir ger­ade so im Fokus der öffentlichen Kri­tik ste­hen, darunter viele CDU-Abge­ord­nete hier im Par­la­ment, und zeigen mit den Fin­ger auf andere, aber dazu komme ich noch.

Ob wirtschaftliche, soziale oder kul­turelle Inno­va­tion – da ist die Bevölkerung unser­er Region seit achthun­dert bis tausend Jahren immer ganz vorne mit dabei auf der Welt.

Das galt allerd­ings lei­der teil­weise auch für die Schat­ten­seit­en der Geschichte – und so hat­te Nazi-Deutsch­land in Sach­sen beson­ders starke Stützen. Wir soll­ten also heute keine Zeit mit dem Ver­such vergeu­den, Mythen zu ret­ten, son­dern der Wirk­lichkeit ins Auge sehen und daraus Kon­se­quen­zen ziehen.

Denn so wie derzeit geht säch­sisch tat­säch­lich nicht mehr!

Keinen Monat, keine Woche, keinen Tag mehr!

Herr Min­is­ter­präsi­dent, ich habe Sie zwei Mal im Land­tag aus­drück­lich für Ihre Worte zum The­ma rechte Gewalt und Ras­sis­mus gelobt und meinen Respekt gezollt.

Sor­ry, aber ein drittes Mal tue ich es nicht, denn ich glaube Ihnen kein Wort mehr.

Die Arbeit­steilung in der säch­sis­chen CDU hat Sach­sen an den Abgrund geführt. Sie, Herr Tillich, als Mann der moralis­chen Empörung mit den entsprechen­den Zitat­en für die Medi­en­land­schaft, und die Her­ren Kupfer, Krauß und Kretschmer als poli­tis­ches Rauschmit­tel für den säch­sis­chen — prov­inziellen All­t­ags-Ras­sis­mus. Die Ergeb­nisse sind eine Serie von durch nichts zu recht­fer­ti­gen­den Vor­fällen, deren vor­erst let­zte spek­takuläre Tatorte Claus­nitz und Bautzen sind.

Es war der CDU-Frak­tionsvor­sitzende Kupfer, der in der vor­let­zten Woche in der „Freien Presse“ den Satz gesagt hat: (Zitat)

„Die Bevölkerung braucht ein Zeichen in der Flüchtlingskrise, dass jet­zt Schluss ist.“

Einige Bürg­er haben das kurz darauf in Claus­nitz in die Tat umge­set­zt und ein Zeichen geset­zt. Ich nenne das poli­tis­ches Zün­deln, und andere zün­den dann tat­säch­lich wie in Bautzen.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann erst­mals öffentlich ein solch­es Ver­brechen am Tatort beklatscht und die Feuer­wehr an der Arbeit gehin­dert wird. Solange wir eine solche Stim­mungslage in der Mitte der Gesellschaft in Sach­sen haben, sind Claus­nitz und Bautzen poten­ziell über­all.

Es kann sich jed­erzeit und über­all wieder­holen.

Hören Sie also auf, welt­fremd von Radikalisierung an den Rän­dern zu sprechen, oder davon, dass einige wenige das Anse­hen des Lan­des besudeln. Das ist eine gemeinge­fährliche Ver­harm­lo­sung, Herr Tillich!

Ich bin der Let­zte, der ein­seit­ig ein­er Partei die Schuld in die Schuhe schiebt. Auch wir LINKE sind Teil der Gesellschaft. Auch uns ist es nicht gelun­gen, einen aus­re­ichend großen Beitrag zur Befriedi­gung in der Bevölkerung zu leis­ten.

Es gebi­etet aber der Respekt vor der Real­ität, dass der Ein­fluss ein­er seit 25 Jahren dauer­regieren­den Partei wie der CDU vielle­icht doch ein biss­chen größer ist als der Ein­fluss ein­er Partei, die seit 25 Jahren in Oppo­si­tion ist. Und solange Sie mir die alleinige Ver­ant­wor­tung für die 40 Jahre davor anlas­ten, werde ich die CDU nicht aus ihrer Ver­ant­wor­tung für das ent­lassen, was wir hier seit 25 Jahren erleben.

Nun stellt der Bautzen­er CDU-Land­tagsab­ge­ord­nete Marko Schie­mann fest:

Schuld an der exis­ten­ziellen Verun­sicherung der Bevölkerung sei eine Niedriglohn­poli­tik, die viele außer Lan­des getrieben habe; und die, die noch da sind, sähen sich nun in Konkur­renz mit Migranten um schlecht bezahlte Jobs.

Herr Schie­mann, Sie vertreten den Wahlkreis Bautzen seit einem Viertel­jahrhun­dert in diesem Hohen Haus.

Herr Schie­mann, Sie haben sich­er acht Mal einen CDU-Min­is­ter­präsi­den­ten mit gewählt, der – egal wie er hieß – Niedriglohn­poli­tik betrieben hat.

Wer hat bis zulet­zt — sog­ar bun­desweit- gegen den Min­dest­lohn gekämpft: die säch­sis­che CDU und der säch­sis­che Min­is­ter­präsi­dent!

Herr Schie­mann, ich will Ihnen noch ein wenig weit­er auf dem Weg der Erken­nt­nis helfen: Es war Ihre CDU, die mit ihrer feu­dal­is­tis­chen Leucht­turm­poli­tik die sozioökonomis­chen Fun­da­mente der Regio­nen ignori­ert hat.

Es war Ihre CDU, die so die Axt angelegt hat an die Ver­wurzelung so viel­er Men­schen. Sie, die selb­ster­nan­nte Partei der säch­sis­chen Heimat, haben Hun­dert­tausende aus der Heimat ver­trieben. Und das, obwohl Sach­sen nach 1989 als uraltes Indus­trieland viel bessere Startbe­din­gun­gen hat­te als beispiel­sweise Bran­den­burg oder Meck­len­burg-Vor­pom­mern.

Die Men­schen sind aus Sach­sen geflo­hen, auch und ger­ade vor Ihrer Niedriglohn­poli­tik. Und viele pen­deln bis heute zur bess­er bezahlten Arbeit in Bay­ern und ander­swo, was auch Sie, Herr Schie­mann, jeden Son­ntagabend auf der Auto­bahn sehen kön­nten.

Vor der aktuellen demografis­chen Wende durch die Geflüchteten der let­zten Jahre haben seit 1990 fast eine halbe Mil­lion mehr Men­schen Sach­sen ver­lassen, als hier­hergekom­men sind.

Das All­heilmit­tel der staatlichen Wirtschafts­förderung war jahrzehn­te­lang der Niedriglohn – da hat Herr Schie­mann Recht, auch wenn er nichts dage­gen unter­nom­men hat.

Unsere Kri­tik seit 1990 an ein­er CDU-Poli­tik, die den Rah­men für aus­beu­ter­ische Lohn­ver­hält­nisse geset­zt hat, wurde am lieb­sten mit der Behaup­tung gekon­tert, wir woll­ten den alten Sozial­is­mus wieder haben.

Herr Tillich, Sie sagten am Fre­itag im Bun­desrat und haben es heute ja auch wieder­holt: (Zitat) „Sach­sen hat ein Prob­lem mit Recht­sex­trem­is­mus, und es ist größer, als der eine oder andere bish­er wahrhaben wollte.“

Okay, damit ist nun nach gut 15 Jahren die Leg­ende des CDU-Min­is­ter­präsi­den­ten Biedenkopf, Sach­sen seien immun gegen Recht­sex­trem­is­mus, vom CDU-Min­is­ter­präsi­den­ten Tillich wider­rufen wor­den.

Ich erlaube mir den Kom­men­tar: Die extreme Langsamkeit gesellschaftlich­er Lern­prozesse in der säch­sis­chen CDU ist nur noch pein­lich!

Wer aber bitte ist „der eine oder andere“, der die Real­ität der extremen Recht­en nicht wahrhaben wollte?

Ich sag es Ihnen: Sie, Herr Min­is­ter­präsi­dent  und Ihre Sach­sen CDU, und ich will Ihnen das an eini­gen weni­gen Beispie­len deut­lich machen:

Wer tat denn so, als hät­ten die Mörder vom soge­nan­nten „Nation­al­sozial­is­tis­chen Unter­grund“ (NSU) gar nichts mit Sach­sen zu tun, obwohl der Freis­taat das Basis­lager für ihren Ter­ror war?

Stanis­law Tillich und die CDU.

Sie, Herr Tillich, ließen sich sein­erzeit nicht in Zwick­au blick­en, als der NSU dort aufge­flo­gen war. Das von der CDU verur­sachte pein­liche Gez­erre um den NSU-Unter­suchungsauss­chuss hier im Land­tag ist noch in frisch­er Erin­nerung.

Wer wollte nicht wahrhaben, dass die großen Anti-Asyl-Proteste in Schnee­berg vor zwei Jahren mehr als nur ein lokales Prob­lem sind? Stanis­law Tillich und die CDU. Kom­mu­nika­tiv lief seit­ens der Staat­sregierung alles schief, was schief laufen kon­nte.

Fre­ital. Der CDU-Innen­min­is­ter nimmt an ein­er Podi­ums­diskus­sion teil, und die einzige Frau, die sich für Geflüchtete ausspricht, wird niederge­brüllt und vom Mikro­fon gedrängt. Herr Ulbig bleibt sitzen und guckt zu.

Hei­de­nau. Die Antwort der CDU-Ver­ant­wor­tungsträger ver­schieden­er Ebe­nen auf die bürg­erkriegsähn­lichen Zustände durch einen mar­o­dieren­den Mob war ein totales Ver­samm­lungsver­bot über mehrere Tage, dem auch ein Willkom­mensfest für Geflüchtete zum Opfer fall­en sollte. Irrer geht’s nicht, Ein­halt gebot erst das Ver­wal­tungs­gericht, nach der Klage eines Stu­den­ten!

Dres­den. Der Innen­min­is­ter Ulbig trifft sich mit den PEGI­DA-Spitzen­leuten und ver­weigert Antworten dazu gegenüber dem Par­la­ment. Der Säch­sis­che Ver­fas­sungs­gericht­shof in Leipzig urteilte dazu: Ver­fas­sungswidrig.

Ich frage Sie – nun­mehr nach Claus­nitz und Bautzen -, ich frage Sie, Herr Tillich, Herr Ulbig, wer wollte hier nicht wahrhaben, dass die größte Gefahr für die öffentliche Sicher­heit genau aus dieser Ecke kommt, in die Sie hineingekrochen sind?

Wer hat auf einem Bürg­er­dia­log über­wiegend mit Pegidis­ten und anschließend in einem großen Inter­view ins Land hineingerufen:

Der Islam gehört nicht zu Sach­sen!

Wer wollte nicht wahrhaben, was er mit diesem Satz der Aus­gren­zung anrichtet? Stanis­law Tillich.

Sie woll­ten damit offen­bar wieder mal vorsät­zlich demon­stra­tiv die beson­ders eigen­ständi­ge Rolle von Sach­sen beto­nen. Das Ergeb­nis: schlicht ver­heerend.

Nun rufen Sie, Herr Tillich, plöt­zlich nach der (Zitat) „ganzen Gesellschaft“, die Ihren Scher­ben­haufen zusam­menkehren soll. Wie aber sind Sie all die ver­gan­genen Jahre mit dieser Gesellschaft umge­gan­gen?

Aktivistin­nen und Aktivis­ten, die sich gegen Ras­sis­mus und Neon­azis engagieren, wer­den in Sach­sen gegän­gelt. Antifaschis­ten und regierungskri­tisch Denk­ende wer­den als Ruh­estörung, Ein­mis­chung, ja gar als Bedro­hung wahrgenom­men.

Jahre­lang ermit­telte das Lan­deskrim­i­nalamt gegen eine ver­meintliche „Antifa-Sport­gruppe“, die in Sach­sen Jagd auf Neon­azis gemacht haben soll. Die Polizei durch­suchte Woh­nun­gen, stürmte das Dres­d­ner Haus der LINKEN, spi­onierte Tele­fone aus und sam­melte eine Mil­lion Handy­dat­en. Ergeb­nisse: Keine.

The­ma Sach­sen­sumpf: Da wird überdeut­lich sicht­bar, wie Jus­tiz instru­men­tal­isiert wor­den ist. So wur­den mehrere Dutzende Gegen­ver­fahren ein­geleit­et. Es wur­den und wer­den bis heute einige Dutzend Men­schen ver­fol­gt, die sich um Aufk­lärung bemüht hat­ten. Herr Mack­en­roth wird sich sicher­lich noch gut an seine Zeit als Jus­tizmin­is­ter erin­nern.

Aber zurück zur unmit­tel­baren Gegen­wart: Die mit­tel­säch­sis­che CDU-Bun­destagsab­ge­ord­nete Veroni­ka Bell­mann fab­u­liert in den Tagen von Claus­nitz und Bautzen über (Zitat) „über­mäßige Tol­er­anz“ gegenüber Aus­län­dern, die schlimme Fol­gen habe.

Herr Tillich, die geisti­gen Brand­s­tifter sitzen mit Rang und Namen in Ihrer säch­sis­chen Union.

Ja, wir sind für mehr Polizei, weil Sie, die CDU, die säch­sis­che Polizei jahre­lang per­son­ell haben aus­bluten lassen. Aber das Prob­lem der geisti­gen Brand­s­tiftung aus der regieren­den säch­sis­chen Union her­aus wer­den wir nicht mit Hil­fe der Polizei lösen kön­nen!

Herr Min­is­ter­präsi­dent, es sind nicht nur die Ereignisse selb­st, die Sach­sen in so einem schlecht­en Licht erscheinen lassen.

Es sind nicht nur die verurteilungswürdi­gen Vor­fälle, son­dern es ist der von Ihnen, Herr Min­is­ter­präsi­dent, und Ihrer CDU in Sach­sen gepflegten Umgang damit:

Nur reagieren, wenn es gar nicht mehr geht,

dann rel­a­tivieren und mit dem Fin­ger auf andere zeigen

und anschließend wieder zur Tage­sor­d­nung überge­hen.

Das ist die Strate­gie der säch­sis­chen Staatspartei CDU seit vie­len Jahren.

Die säch­sis­che Union hat in Sach­sen einen Kul­turkampf im Namen schein­bar­er kon­ser­v­a­tiv­er Werte geführt, in dem der Freis­taat nun selb­st zu Bruch zu gehen dro­ht.

Sie, meine Damen und Her­ren von der CDU, haben aus Grün­den parteipoli­tis­ch­er PR einen Sach­sen-Chau­vin­is­mus hoch gezüchtet, der uns zum Nabel und Maß der Welt machen sollte.

Die säch­sis­chen Christ­demokrat­en hegen einen undemokratis­chen poli­tis­chen Allein­vertre­tungsanspruch.

Zu dem Zweck betreiben sie unter anderem auch eine Geschicht­spoli­tik, die so tut, als sei die CDU der alleinige Motor der friedlichen Rev­o­lu­tion gewe­sen. Auf das rev­o­lu­tionäre Erbe erheben sie den alleini­gen Anspruch.

Gle­ichzeit­ig treibt die säch­sis­che CDU in ihrer Sehn­sucht nach einem ungetrübt helden­haften Sach­sen eine „Nor­mal­isierung“ der Geschichte voran, in der die Erin­nerung an die NS-Ver­brechen nur stört.

So erk­lärt Sach­sens Min­is­ter­präsi­dent, auf ein­er Ver­anstal­tung Anfang 2015 in der Gedenkstätte Ehren­hain Zei­thain zum 70. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Nation­al­sozial­is­mus: (Zitat)

„Für den West­en Deutsch­lands war das Kriegsende 1945 eine Befreiung. Für den Osten war es der Beginn neuen Unrechts.“

Damit wird die Befreiung von einem Regime, das einen Weltkrieg mit 60 Mil­lio­nen Toten angezettelt und indus­triellen Massen­mord als Herrschaftsmeth­ode einge­set­zt hat, in den Schat­ten der friedlichen Rev­o­lu­tion von 1989 gestellt.

Die wiederum hat die säch­sis­che CDU für sich gepachtet, wie die Ein­ladungs-Unkul­tur anlässlich der Feier­lichkeit­en zu 25 Jahren Land­tag und Freis­taat erneut unter Beweis gestellt hat.

Dabei hin­dert die Verurteilung der DDR die säch­sis­che CDU nicht daran, sich macht­tech­nisch aus dem real­sozial­is­tis­chen Erbe reich zu bedi­enen.

Als erstes mit der Wieder­errich­tung ein­er Staatspartei. Die find­et nicht nur grund­sät­zlich jede Idee der Oppo­si­tion Mist, weil es ja die Oppo­si­tion ist. Sie lässt auch die Bevölkerung nur aus demokratiefolk­loris­tis­chen Grün­den ab und an ein biss­chen mit­disku­tieren, ohne natür­lich Ideen aus der Bevölkerung zu berück­sichti­gen.

Es ist all­ge­mein bekan­nt, dass die direk­te Demokratie in Sach­sen im Koma liegt, weil die Hür­den zu hoch sind.

Wer aber block­iert jede Mit­sprache der Bevölkerung?

Sach­sens CDU und Marko Schie­mann.

Wer hat sich ver­weigert, als wir darauf drängten, bei der Ver­fas­sungsän­derung nicht nur über die Schulden­bremse, son­dern auch über die Volks­ge­set­zge­bung zu sprechen?

Der CDU-Recht­spoli­tik­er Marko Schie­mann und die CDU-Land­tags­frak­tion.

Die Verun­sicherung der Bevölkerung in Sach­sen war schon da, bevor die Geflüchteten bei uns angekom­men sind.

Sie ist das Ergeb­nis der sozialen und regionalen Spal­tung der Bevölkerung durch eine CDU-Poli­tik, für die Gerechtigkeit und sozialer Aus­gle­ich Fremd­wörter sind.

In den neun­ziger Jahren ist in Sach­sen etwas abhan­den gekom­men, was dem Selb­st­be­wusst­sein der Bevölkerung ungeachtet aller Sach­sen­stolz-Beschwörun­gen der dauer­regieren­den CDU das Rück­grat gebrochen hat: das sozioökonomis­che Fun­da­ment der Regio­nen.

Heute ist außer Leipzig und Dres­den (und vielle­icht noch Chemnitz/Zwickau) fast über­all gefühlte Prov­inz, man spricht von „ländlichen Räu­men“, die es bish­er im fast über­all dicht besiedel­ten Indus­trieland Sach­sen kaum gegeben hat.

Liebe Kol­legin­nen und Kol­le­gen, auch der CDU,

Sie möcht­en ja jet­zt Vorschläge auf­greifen, die dem Unmut abhelfen, der auch Men­schen auf die Straße treibt.

Ich sage Ihnen, welche Vorschläge das sind, ich sage Ihnen, was man sofort im Land tun kann und wofür man sich als Sach­sen sofort über den Bun­desrat stark machen kann:

1. Eine Beendi­gung der Sank­tio­nen gegen Rus­s­land!

2. Eine Beendi­gung der Beteili­gung der Bun­deswehr an Aus­land­sein­sätzen!

3. Eine Entwick­lung­shil­fe, die nicht auf eine Ali­men­tierung der Men­schen set­zt, son­dern auf Hil­fe zur Selb­sthil­fe. (Damit nicht wie beim Auf­bau des Ostens das Geld für den Osten auf Umwe­gen wieder zurück in den West­en fließt.)

4. Eine Bürger_innenversicherung für alle.

5. Eine sol­i­darische Min­de­strente für alle!

6. Eine sank­tions­freie Min­dest­sicherung für alle!

Und in Sach­sen kön­nen Sie sofort eine Schule für alle bis min­destens zur Klasse 8 ein­führen.

Für all das hät­ten Sie nicht nur unsere Unter­stützung, son­dern auch die Zus­tim­mung von großen Teilen der Bevölkerung, und Sie wür­den vie­len Men­schen ihre – in diesem Fall – berechtigten sozialen Äng­ste nehmen.

Es tut mir Leid, Herr Tillich, aber wenn in dem Land­kreis, in dem Sie Ihren Wahlkreis haben, bei den 18- bis 35-Jähri­gen auf 100 Män­ner nur noch 80 Frauen kom­men, ist dies auch das Ergeb­nis der Poli­tik der säch­sis­chen Union. Sie haben viele junge, gut gebildete Frauen mit Ihrer – in jed­er Hin­sicht! — rück­wärts­ge­wandten Poli­tik ver­trieben.

Wenn Sach­sen wieder Frieden mit sich selb­st find­en soll, dann braucht die Lan­despoli­tik neue soziale Leit­planken, die den Weg zu diesem Ziel bes­tim­men:

Es muss über­all gle­ich viele gute Gründe geben zu bleiben, nur andere.

Jed­er Ort in Sach­sen muss attrak­tiv genug sein als Wohn- und Leben­sort für Beschäftigte der gewerblichen Wirtschaft.

Es darf im öffentlichen Per­so­nen­nahverkehr keine weißen Fleck­en geben.

Flüchtlinge soll­ten als neue dauer­hafte Bewohner_innen zur Ver­jün­gung und Bele­bung bish­er abge­hängter Regio­nen gewon­nen wer­den.

Das schaf­fen wir in Sach­sen, wenn wir das „Prinzip Tillich“ außer Kraft set­zen.

Das Prinzip Tillich verkauft sich als Regieren mit ruhiger Hand, ist aber in der Real­ität Weg­duck­en und Ruhigh­al­ten, wenn es bren­zlig zu wer­den dro­ht.

Herr Tillich, Sie haben nach Claus­nitz vier Tage gebraucht, bis Sie erst­mals öffentlich Rede und Antwort ges­tanden haben. Das war schreck­lich für Sach­sen, aber typ­isch für Ihre Form der Wahrnehmung von Richtlin­ienkom­pe­tenz. Frei nach dem Mot­to: Ich bin dann mal weg.

Nun fällt Ihnen als Ruf aus der Krise als erstes der Ruf nach dem „starken Staat“ ein. Den let­zten ver­meintlich starken Staat erlebte ich als FDJ-Funk­tionär und Sie als stel­lvertre­tender Vor­sitzen­der des Rates des Kreis­es. Wir soll­ten sei­ther gemein­sam gel­ernt haben, dass wir etwas anderes brauchen:

Näm­lich eine starke Zivilge­sellschaft, die vom Staat geschützt wird!

Bish­er aber wur­den Ini­tia­tiv­en dieser Zivilge­sellschaft von der säch­sis­chen Union mal unter Extrem­is­musver­dacht gestellt, mal beschimpft, mal an den Rand gedrückt. Holo­caust-Über­lebende soll­ten Gesin­nungs-Unbe­den­klichkeit­serk­lärun­gen unter­schreiben, bevor sie auf staatlich geförderten Ver­anstal­tun­gen auftreten durften. Wir erin­nern uns, dass Ihre Extrem­is­musklausel sog­ar den säch­sis­chen Demokratiepreis gesprengt hat­te.

Die säch­sis­che Union verpflichtete sich 2005 per Parteitags­beschluss, in der Bevölkerung (Zitat:) „pos­i­tive nationale Wal­lun­gen“ zu weck­en.

Mit den „nationalen Wal­lun­gen“ klappt das ja in Sach­sen seit ein paar Jahren immer bess­er, aber nun kom­men auch die ersten vernün­fti­gen Leute in der CDU zum Schluss, dass das so pos­i­tiv für Sach­sen nicht ist.

Es geht heute natür­lich vor­rangig um die Zukun­ft, das heißt wie in der Über­schrift unseres gemein­samen Antrages mit den Grü­nen:

Zivilge­sellschaft unter­stützen, demokratis­chen Rechtsstaat stärken!

Das heißt aber auch, wir müssen von jet­zt an aufar­beit­en – und dazu lade ich alle demokratis­chen Frak­tio­nen ein -, was dazu geführt hat, dass der staatliche Rah­men in Sach­sen nicht funk­tion­iert.

Nach den Zahlen von 2013 sind noch 80 Prozent der Abteilungsleit­er-Posi­tio­nen in säch­sis­chen Min­is­te­rien von Men­schen mit west­deutschem Migra­tionsh­in­ter­grund beset­zt. Ich habe nichts gegen Sach­sen in Bay­ern, also auch nichts gegen Schwaben im Erzge­birge. Das ist nicht das The­ma. Es sind gute Leute gegan­gen und gute Leute gekom­men. Aber offen­bar nicht so viele gute, dass es gerecht­fer­tigt wäre, ihnen auch ein Viertel­jahrhun­dert nach der friedlichen Rev­o­lu­tion das Gros der Ver­ant­wor­tung im Staat­sap­pa­rat zu über­lassen.

Zur Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung gehört auch die Antwort auf die Frage, ob beispiel­sweise viele zweit- und drit­trangige Juris­ten aus den alten Bun­deslän­dern, die sich unter Regie des hoch­pa­tri­o­tis­chen CDU-Jus­tizmin­is­ters Heit­mann bei uns im Jus­ti­zap­pa­rat ein­genis­tet haben, ein Segen für die Entste­hung ein­er intak­ten Recht­skul­tur gewe­sen sind.

Für Sach­sen kommt dann noch ein gesellschaftlich­er Umbruch-Effekt dazu, dass die Leute 1989 dacht­en, es gäbe jet­zt Demokratie für sie — im Sinne von Mit­gestal­tung – eben nicht nur eine repräsen­ta­tive Demokratie. Jet­zt fühlen sie sich erneut von oben herab behan­delt und unver­standen, das zweite Mal – ich for­muliere das jet­zt mal drastisch: „ver­arscht“ und sind beson­ders motiviert, gegen das „Sys­tem“ vorzuge­hen.

 

Kurzum: Dass Sach­sen im Jahr 2016 spür­bar außer Kon­trolle ist, hat etwas damit zu tun, wie sich die CDU seit 1990 Sach­sen unter Kon­trolle gebracht hat.

Ich will Ihnen am Ende mein­er Aus­führun­gen einige Antworten aus Sicht der LINKEN auf die Her­aus­forderun­gen geben, die den Säch­sis­chen Land­tag auf dieser Son­der­sitzung beson­ders bewe­gen soll­ten. 

1. Im Kampf für ein men­schen­würdi­ges Leben aller Ein­wohner­in­nen und Ein­wohn­er Sach­sens set­zt sich der Land­tag Sach­sens kon­se­quent gegen men­schen­ver­ach­t­ende Denkmuster wie Anti­semitismus, Nation­al­is­mus und andere diskri­m­inierende Ein­stel­lun­gen ein. Wir müssen lei­der fest­stellen, dass men­schen­feindlich­es Denken und Han­deln in allen Alters­grup­pen und allen gesellschaftlichen Bere­ichen vorhan­den ist.

2. Dage­gen anzuge­hen ist eine gesamt­ge­sellschaftliche Auf­gabe, die sich durch ver­schiedene Poli­tik­felder zieht. Der Land­tag erachtet die umfassende Äch­tung der extremen Recht­en als eine vor­dringliche Auf­gabe, die nicht allein mit der Bekämp­fung der NPD erledigt ist. Daher richt­en wir uns gegen jede Form von Diskri­m­inierung gegen anders Lebende, Ausse­hende oder Liebende und stre­it­en für deren Akzep­tanz und die Ermöglichung eines selb­st­bes­timmten Lebens für Ein­heimis­che wie Zuge­zo­gene.

3. Eine rasche Aufk­lärung und kon­se­quente strafrechtliche Ver­fol­gung von recht­en Straftat­en und Has­sver­brechen muss gewährleis­tet sein. Dafür braucht man keinen Ver­fas­sungss­chutz, benötigt wird aus­re­ichend fachkundi­ges Per­son­al bei Polizei und Jus­tiz.

4. Notwendig ist die Entkrim­i­nal­isierung des vielfälti­gen Protestes gegen rechte Aufmärsche. Mit Opfern rechter Gewalt zeigen wir uns sol­i­darisch.

5. Ras­sis­tis­che Ein­stel­lun­gen und Hand­lun­gen müssen als Prob­lem benan­nt wer­den. Es ist ana­lytisch falsch, ver­all­ge­mein­ernd von „Extrem­is­mus“ zu sprechen. Zu lange hat die Poli­tik, haben Behör­den unter Anwen­dung dieses Begriffs die Bedro­hungslage der extremen Recht­en verkan­nt.

6. Der Säch­sis­che Land­tag wird dafür Sorge tra­gen, dass Fort- und Weit­er­bil­dungsange­bote zur präven­tiv­en Arbeit gegen die extreme Rechte in den Bere­ichen Jugend- und Sozialar­beit, für Lehrerin­nen und Lehrer, für die Ver­wal­tung in den Kom­munen sowie für Polizei und Jus­tiz ver­stärkt wer­den. Ger­ade bei der Polizei, den Gericht­en und im Jus­tizvol­lzug man­gelt es oft an der nöti­gen Sen­si­bil­ität für das The­ma.

7. Der Säch­sis­che Land­tag plädiert für offene For­men der Diskus­sion, gemein­sam mit Wis­senschaft, Zivilge­sellschaft und örtlich Engagierten. Als geeignetes Mit­tel erweist sich dabei ein regelmäßiger „Sach­sen­mon­i­tor“, um die Ver­ankerung von Ide­olo­gien der Ungle­ich­w­er­tigkeit sowie anti­demokratis­chen, men­schen­feindlichen und NS-ver­her­rlichen­den Ein­stel­lun­gen in der säch­sis­chen Bevölkerung zu erken­nen.

8. Der Säch­sis­che Land­tag set­zt sich für die Erar­beitung eines Gesamtkonzeptes für ein tol­er­antes Sach­sen als Quer­schnittsver­ant­wor­tung der Staat­sregierung in Zusam­me­nar­beit mit den Kom­munen, Land­kreisen und zivilge­sellschaftlichen Ini­tia­tiv­en ein.

9. Der Land­tag unter­stützt antifaschis­tis­che und anti­ras­sis­tis­che Pro­jek­te, Ini­tia­tiv­en und Bünd­nisse sowie das Pro­gramm „Weltof­fenes Sach­sen für Demokratie und Tol­er­anz“. Dieses Pro­gramm soll dauer­haft fort­ge­führt wer­den, die Mit­tel sind umge­hend aufzu­s­tock­en, und der Beirat ist wieder einzuführen.

10. und let­ztens: Der Land­tag sieht drin­gen­den Bedarf an ein­er stärk­eren Insti­tu­tion­al­isierung der Beratungsnet­zw­erke wie Opfer­ber­atung, Aussteiger­pro­jek­te sowie der mobilen Beratung. Des Weit­eren benötigt Sach­sen eine bre­ite und öffentliche Unter­stützung für Kom­munen bei poli­tis­ch­er Bil­dungsar­beit. Hier soll­ten durch die Lan­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung Multiplikator_innen für Schu­lungs­maß­nah­men vor Ort befähigt wer­den.

Einen Neuan­fang kann es in Sach­sen geben, wenn die Regierungspoli­tik nicht weit­er an der Leg­ende der „Flüchtlingskrise“ strickt, son­dern dem Ide­al der Aufk­lärung fol­gend auf wirk­liche Ursachen und Wirkun­gen schaut.

Einen Neuan­fang kann es in Sach­sen geben, wenn sich die obrigkeitsstaatliche CDU ein­er kri­tis­chen Aufar­beitung ihrer Regierungsar­beit stellt.

Einen Neuan­fang kann es in Sach­sen geben, wenn die Staatspartei CDU ihre Igno­ranz gegenüber kon­struk­tiv­en Vorschlä­gen der demokratis­chen Oppo­si­tion aufgibt.

Einen Neuan­fang kann es in Sach­sen geben, wenn eine Mehrheit im Land­tag endlich eine sozial ver­ant­wortliche Poli­tik für die in Sach­sen leben­den Men­schen macht.

Herr Min­is­ter­präsi­dent, hören Sie auf mit der Rel­a­tivierung und pack­en Sie’s mit an!

Vie­len Dank!