Rede zur Begrüßung von LINKE-Chef Riexinger in der Fraktion: Dem roten Sachsen der Zukunft näherkommen

Liebe Genossin­nen und Genossen,
meine Damen und Her­ren,
lieber Bernd!

Welch­es große Ver­trauen wir in unsere neue Parteispitze set­zen, sieht man schon daran, dass wir Bernd Riexinger zum größt­möglichen der derzeit öffentlich disku­tierten poli­tis­chen The­men ein­ge­laden haben: „Die Eurokrise, die Schuldenkrise, die Schulden­bremse – und die Antworten der LINKEN“. Dabei braucht Dir, lieber Bernd, aber nicht angst und bange zu wer­den, denn vor weni­gen Tagen saß auf diesem Platz erst der Prof. Hein­er Flass­beck, früher­er Staatssekretär des dama­li­gen Bun­des­fi­nanzmin­is­ters Oskar Lafontaine. Flass­beck, der inzwis­chen in ein­er Spitzen­funk­tion bei der UNO-Organ­i­sa­tion für Han­del und Entwick­lung UNCTAD tätig ist, redete gar über die „Weltschulden“. Sein The­ma war „Schulden­bremse – eine Zukun­ft ohne Schulden?“

Dres­den ist zwar nicht Athen. Und die Sach­sen haben andere Sor­gen als die Griechen. Aber wir sitzen in einem gemein­samen Boot, und wenn das in die falsche Rich­tung ges­teuert wird, bekom­men wir Prob­leme, die nie­mand mehr alleine lösen kann. In der gegen­wär­ti­gen Sit­u­a­tion, in der die herrschende Poli­tik und tonangebende Medi­en gemein­sam mit Voll­dampf ins Verder­ben fahren, brauchen wir mutige Frauen und Män­ner, die sich nicht von der Ver­nun­ft abbrin­gen lassen und dafür ein­ste­hen.

Du bist für Dein Auftreten in Athen von manchen deutschen Spitzen­poli­tik­ern des „anti­deutschen“ Ver­hal­tens bezichtigt wor­den – tat­säch­lich aber, lieber Bernd, stehst Du auf der Seite der Bevölkerung in Deutsch­land und Griechen­land. Während sich andere um Banken und Hedge-Fonds sor­gen, gilt Deine Aufmerk­samkeit den Kranken­schwest­ern und allen anderen wirk­lichen sozialen Leis­tungsträgern. Ich bin mir sich­er, dass dich das Geschrei der­er nicht stört, die den Begriff „Volks-Vertreter“ nur als folk­loris­tis­ches Relikt betra­cht­en und den Deutschen Aktienin­dex DAX mit dem Zus­tand des Gemein­wohls ver­wech­seln.

Anders als Europa oder Griechen­land hat Sach­sen kein Schulden­prob­lem. Um das zu ver­ste­hen, muss man gut zwei Jahrzehnte zurück­ge­hen, als die staatlichen Instru­mente für den Auf­bau Ost zusam­menge­bastelt wurde. Ein Bun­des­land wie Meck­len­burg-Vor­pom­mern beispiel­sweise, in dem heute etwa so viele Men­schen leben wie allein in der Freien und Hans­es­tadt Ham­burg, ist da natür­lich in ein­er wesentlich ungün­stigeren Aus­gangslage als das dicht besiedelte Sach­sen, in dem es ein tra­di­tionell eng­maschiges Netz an Wirtschafts- und Forschungs­stan­dorten gab und teil­weise noch gibt.

Sach­sen war also bess­er dran als andere im Osten, kam fol­glich mit seinem Geld bess­er aus und hat­te vielle­icht mit Georg Mil­bradt auch einen geschick­ten Finanzmin­is­ter. Auch wenn der inzwis­chen seinen Ruf für alle Zeit­en durch den Crash der Lan­des­bank ruiniert hat, die mit­samt ihrer Speku­la­tions­blase rund um US-amerikanis­che Immo­bilien zer­platzt ist. Statt sich lieber ordentlich mit Kred­iten um den säch­sis­chen Mit­tel­stand zu küm­mern.

Sach­sen macht seit 2006 keine neuen Schulden. Sach­sen hat eine Haushalt­sor­d­nung, die eine vor­weggenommene Schulden­bremse ist. Wir haben diese Haushalt­sor­d­nung natür­lich aus grund­sät­zlichen Erwä­gun­gen abgelehnt, weil wir nichts von ein­er solchen Selb­st­fes­selung der Poli­tik hal­ten. Prak­tis­che Auswirkun­gen aber hat sie sowieso nicht. Selb­st wir haben seit zwölf Jahr nur alter­na­tive Haushalt­san­sätze ohne zusät­zliche Neu­ver­schul­dung vorgelegt. Weil das Haupt­prob­lem in Sach­sen nicht fehlen­des Geld, son­dern falsche Pri­or­itäten der Regieren­den beim Gel­daus­geben sind.

Nun ver­han­deln wir seit acht Monat­en mit den anderen demokratis­chen Frak­tio­nen – also auch mit der CDU – über eine Weit­er­en­twick­lung der säch­sis­chen Lan­desver­fas­sung. Schwarz-Gelb will ein Schulden­ver­bot in der Ver­fas­sung, wir wollen u. a. mehr direk­te Demokratie. Die Schulden­ver­bots-Debat­te ist aus den genan­nten Grün­den eigentlich in Sach­sen sowieso über­flüs­sig, außer­dem greift in abse­hbar­er Zeit ohne­hin die auf Bun­de­sebene beschlossene Schulden­bremse auch in den Län­dern.

CDU und FDP haben für das Schulden­ver­bot keine Zwei-Drit­tel-Mehrheit und wir nicht für die Erle­ichterung von Volk­sentschei­den und andere wirk­lich wichti­gen Dinge. Prof. Flass­beck hat in diese säch­sis­che Debat­te aus glob­aler Sicht einen völ­lig neuen Aspekt einge­bracht: Aus sein­er Sicht wer­den diese ganzen Schulden­brem­sen bzw. Schulden­ver­bote sowie nie Wirk­lichkeit wer­den, weil sich inzwis­chen durch die Eurokrise die Rah­menbe­din­gun­gen grundle­gend geän­dert haben.

Wie auch immer, wir erfuhren von Prof. Flass­beck Bemerkenswertes: Die Spar­er kön­nen nur mit Erfolg sparen, wenn es andere gibt, die bei der Bank mit dem Geld der Spar­er Schulden machen. Wer das Schulden­machen generell ver­bi­eten wolle, müsse auch das Sparen ver­bi­eten. Zudem führe massen­haftes Sparen ohne Kred­i­tauf­nahme zum Ruin der Volk­swirtschaft in weni­gen Jahren, weil ja dem Kreis­lauf des Pro­duzierens und Kon­sum­ierens ständig mehr Geld entzö­gen würde.

Die vielz­i­tierte „schwäbis­che Haus­frau“ taugt also nicht als Leitkul­tur – wom­it ich, lieber Bernd, natür­lich nichts gegen Deinen Geburt­sort Leon­berg nahe Stuttgart sagen möchte.  Und auch nicht gegen die dort Jahrzehnte ansäs­sige Leon­berg­er Baus­parkasse, die inzwis­chen zu „Wüsten­rot“ gehört – und bei der Deine beru­fliche Lauf­bahn begann. Denn wie jed­er Häusle­bauer weiß, gehört zum Baus­paren bei­des: das Sparen und das damit wach­sende Anrecht auf Kred­ite.

Zu unser­er konkreten säch­sis­chen Schulden­ver­bots­frage sagte Prof. Flass­beck: Wenn der Freis­taat Sach­sen nie mehr Schulden machen will, müssen das andere tun, näm­lich beispiel­sweise die Unternehmen in Sach­sen. Da frage ich mich: Wird aber die säch­sis­che Wirtschaft durch die schwarz-gelbe Spar­poli­tik in Dres­den dazu motiviert, ver­stärkt Kred­ite für Investi­tio­nen aufzunehmen, mit denen die eigene Pro­duk­tiv­ität gesteigert wird?

Da habe ich meine großen Zweifel, denn die bei­den drän­gend­sten aktuellen Prob­leme Sach­sens haben etwas mit diesem The­ma und miteinan­der zu tun: der zunehmende Fachkräfte­man­gel und die weit ver­bre­it­ete Niedriglohn-Bezahlung. Im Gefolge dessen erleben wir man­gel­nde Kaufkraft und Abwan­derung junger hochqual­i­fiziert­er Men­schen. – Für eine Investi­tion­sof­fen­sive in Inno­va­tion braucht man jeden­falls mehr Ideen als nur die gebetsmüh­len­hafte Wieder­hol­ung des „Keine Schulden – niemals!“

Miteinan­der zusam­men hän­gen auch der deutsche Exportüber­schuss – erkauft durch Lohnzurück­hal­tung und immer mehr prekäre Beschäf­ti­gungsver­hält­nisse hierzu­lande – und das Han­dels­bi­lanzde­fiz­it ein­schließlich Ver­schul­dung der südeu­ropäis­chen Län­der. Oder wie Prof. Flass­beck sagte: Deutsch­land hat seine Kun­den ruiniert, und das schlägt auf uns selb­st zurück. Er emp­fahl für die Zukun­ft wirtschaft­spoli­tis­che Strate­gien ohne große Über­schüsse, allein schon deshalb weil kaum noch ein Land auf der Welt bere­it ist, die dafür im Gegen­zug notwendi­gen Defizite auf sich zu nehmen.

Wir LINKE soll­ten uns trauen, auch bei Land­tagswahlen ein ganzheitlich­es Poli­tikange­bot zu machen, dass die Redewen­dung vom „Sach­sen in Europa“ mit Leben erfüllt. Dazu wird Bernd Riexinger jet­zt einen Beitrag leis­ten. Wir freuen uns, dass Du nach dem Kleinen Parteitag bere­its zum zweit­en Mal in rel­a­tiv kurz­er Zeit den Weg nach Sach­sen gefun­den hast. Das möge die Tra­di­tion ein­er regelmäßi­gen engen Zusam­me­nar­beit begrün­den!

Dann sind wir auch bere­it, es ohne Protest hinzunehmen, wenn die aus Sach­sen stam­mende Ko-Parteivor­sitzende Kat­ja Kip­ping mal Ter­mine in der Heimat nicht wahrnehmen kann, weil sie ter­min­liche Verpflich­tun­gen in Schwaben hat. Ich per­sön­lich habe ja bekan­ntlich mit Schwaben keine Prob­leme, weil ich auch nicht hochdeutsch kann. Ich bin nur ein biss­chen nei­disch, dass der Spruch „Wir kön­nen alles außer Hochdeutsch“ zum Marken­ze­ichen von Baden-Würt­tem­berg gewor­den ist – und nicht von Sach­sen.

Aber uns wird sich­er was noch Besseres ein­fall­en, wenn hier die CDU nicht mehr regiert. Baden-Würt­tem­berg hat ja vorgemacht, dass auch in schein­bar kon­ser­v­a­tiv­en Stamm­län­dern plöt­zlich was ganz anderes passieren kann. Und das gilt umso mehr für Sach­sen, das ja von Haus aus ein „rotes“ Land ist. Ich denke, wir wer­den nach dieser öffentlichen Frak­tion­ssitzung dem roten Sach­sen der Zukun­ft ein Stück näher gekom­men sein.