Meine Rede auf der Regionalkonferenz in Schkeuditz

Rede auf der Region­alkon­ferenz in Scheu­ditz am 23.5.2012

Liebe Genossin­nen und Genossen,
liebe Fre­undin­nen und Fre­unde unser­er Partei,
werte Gäste und an unser­er Poli­tik trotz allem inter­essierte Men­schen!

Dank Wikipedia weiß auch ein nicht des Lateinis­chen Kundi­ger, was der Begriff „inter­es­sant“ eigentlich bedeutet: Er kommt von den bei­den Worten „inter“ und „esse“, was zusam­men so viel heißt wie „inmit­ten sein“. Inter­es­sante Poli­tik ist also eine, die mit­ten drin in der Gesellschaft zu Hause ist. Inter­es­sante Poli­tik ist mit Sicher­heit keine, die als kri­tis­che Beobach­terin am Rande ste­ht und rechthaberisch dem Rest der Welt Zen­suren für richtiges oder falsches Ver­hal­ten erteilt.

Wikipedia ist wiederum ein Aus­druck dessen, was heutzu­tage landläu­fig „Schwarmintel­li­genz“ genan­nt wird – wir sind alle zusam­men klüger und ler­nen schneller als alle ver­gan­genen Lexikon-Redak­tio­nen zusam­men. Natür­lich kommt es dabei immer wieder auch zu pein­lichen Fehlern, sie kön­nen aber in einem Sys­tem der offe­nen Kom­mu­nika­tion und des unge­hin­derten Net­zw­erkes schnell erkan­nt und kor­rigiert wer­den.

Manch­mal habe ich mit Blick auf partei­in­terne Grabenkämpfe um einzelne For­mulierun­gen der poli­tis­chen Aus­rich­tung den Ein­druck, dass wir uns die ver­staubten Enzyk­lopä­di­en ver­gan­gener Zeit­en um die Ohren hauen und dabei vergessen haben, dass es zwis­chen­zeitlich unzäh­lige Updates gegeben hat, die wir lei­der nicht zur Ken­nt­nis genom­men haben. Mit den Antworten, die gestern richtig waren, lassen sich aber nicht automa­tisch die Prob­leme von mor­gen lösen!

Es war ein Jahrzehnt lang richtig und für die Bil­dung und Entwick­lung ein­er gesamt­deutschen LINKEN zu Recht pro­fil­prä­gend, in erster Lin­ie Nein zum Neolib­er­al­is­mus zu sagen. In ein­er Zeit aber, in der mit der Hypo Real Estate sog­ar von Kap­i­tal­is­mus-Fre­un­den eine Bank ver­staatlicht wor­den ist, in ein­er Zeit, in der von den Predi­gern der Dereg­ulierung Hun­derte Mil­liar­den Euro schwere staatliche Ret­tungss­chirme zwecks Finanz­markt-Reg­ulierung aufges­pan­nt wer­den – in ein­er solchen Zeit reicht der Ges­tus des Anti­ne­olib­er­al­is­mus offenkundig nicht mehr aus.

Das ändert nichts daran, dass wir alle diese Maß­nah­men im Detail für falsch hal­ten. Klar ist: Die Zeche für die Krise dür­fen nicht die zahlen, die sie nicht verur­sacht haben.
Wir müssen aber zur Ken­nt­nis nehmen, dass uns die Opfer der Krise nicht allein schon deshalb wählen, weil wir laut­stark kri­tisieren, dass sie Opfer der Krise gewor­den sind. Das allein ist noch keine Poli­tik!

Unser Nach­holbe­darf befind­et sich nicht auf dem Feld des Beken­nt­niss­es. Wir als LINKE ste­hen in keinem sozial­is­tis­chen Predi­ger-Wet­tbe­werb, wer es am rhetorisch ful­mi­nan­testen den Speku­lanten und Abzock­ern besorgt. Wir wis­sen, dass unser Markenkern das Men­schheit­s­the­ma schlechthin ist – die Befreiung der Men­schen von Unter­drück­ung:

Im 2. Jahrhun­dert vor Chris­tus wurde im Römis­chen Reich auf Druck der Bevölkerung die Schuld­sklaverei ver­boten, 2.200 Jahre später wird sie in höchst mod­ern­er und äußer­lich schein­bar viel ele­gan­ter­er, dafür aber noch per­verser­er Form für ganze Bevölkerungss­chicht­en – siehe u. a. Griechen­land – wieder einge­führt: Die Leute sollen auf lange Zeit für weniger Geld mehr arbeit­en, um Schulden zu bezahlen, die sie nicht gemacht haben. Deshalb ist es gut, dass DIE LINKE in diesen Tagen den sicht­baren Schul­ter­schluss mit ihrer griechis­chen Schwest­er­partei gefun­den hat, um aller Welt zu zeigen: Wir sind die inter­na­tion­al­is­tis­che Partei in Deutsch­land, im Ver­gle­ich zu uns ist ein Großteil der poli­tis­chen Konkur­renz – mit Ver­laub – Prov­inz!

Aber wie im alten Rom geht es auch heute um die Frage: Wie entste­ht der Druck aus der Bevölkerung? Die alte SED, der ich wie viele in diesem Raum einen ganzen Lebens­ab­schnitt lang aus Überzeu­gung ange­hörte, wurde auch deshalb let­ztlich zurecht vom Druck der Bevölkerung hin­wegge­fegt, weil wir zu oft als res­ig­na­tive Antwort auf unver­ständliche poli­tis­che Maß­nah­men gesagt haben: Die Genossen da oben wer­den sich schon etwas dabei gedacht haben …. Das hat­ten sie auch, lei­der nur oft das Falsche!

Deshalb wis­sen aus eigen­er Erfahrung: Die Zeit ein­er schein­wis­senden Avant­garde ist vor­bei. Auch in der eige­nen Partei. Es ist auch die Zeit vor­bei, in der manche gle­ich­er als andere sind und für sich Son­der­regeln der Kom­mu­nika­tion in Anspruch nehmen, die sie anderen nie durchge­hen lassen wür­den! Die Ereignisse des gestri­gen Tages zeigen, dass sich diese Erken­nt­nis inzwis­chen bis ins Saar­ländis­che herumge­sprochen hat.

Diet­mar Bartsch hat seine Kan­di­datur schon vor Monat­en ohne Inanspruch­nahme von Son­der­regeln verkün­det und an keine Bedin­gun­gen geknüpft. Son­dern er hat im Dienst an der Plu­ral­ität der Partei ein Ange­bot zur flügelüber­greifend­en Koop­er­a­tion unter­bre­it­et, u.a. an Sahra Wagenknecht, ja an alle, die diese LINKE nach vorn brin­gen wollen. Wer jet­zt also den Rück­zug des Bewer­bers Diet­mar Bartsch fordert, möchte dem Parteitag schon wieder vorschreiben, nicht mehr auswählen zu dür­fen. Damit wird ger­ade einem nicht-autoritären Selb­stver­ständ­nis der LINKEN, das ich aus­drück­lich unter­stütze, ein Bären­di­enst erwiesen.

Mit Diet­mar Bartsch hat­te die große Mehrheit der säch­sis­chen PDS 2002 bei der Auswer­tung der ver­lore­nen Bun­destagswahl einen grund­sät­zlichen Dis­sens, den wir aus­gestrit­ten haben. Diet­mar Bartsch hat – übri­gens auch wie Bodo Ramelow, Lothar Bisky und Gre­gor Gysi – große Ver­di­en­ste daran, dass eine gesamt­deutsche LINKE das Licht der Welt erblick­en kon­nte. Wenn zu Recht auf die Ver­di­en­ste von Oskar Lafontaine in diesem Zusam­men­hang ver­wiesen wird, darf die Bedeu­tung von Gre­gor Gysi nicht ver­nach­läs­sigt wer­den!

Eigentlich wollte ich heute über andere Genossin­nen und Genossen nur Gutes sagen. Aber nach dem, was sich Klaus Ernst seit der Land­tagswahl in NRW geleis­tet hat, ist das nur mit dieser Aus­nahme möglich: Denn wenn ein noch amtieren­der Parteivor­sitzen­der meinte, bezo­gen auf die Per­son Lafontaine eine mögliche Spitzenkan­di­datur an die Bedin­gung des Parteivor­sitzes knüpfen zu müssen, aber unter­schla­gen hat, dass zur höchst erfol­gre­ichen Spitzenkan­di­datur der gesamt­deutschen LINKEN bei der Bun­destagswahl 2009 auch Gre­gor Gysi gehörte, dann ist das eine Selb­st­dis­qual­i­fika­tion für Spitzenämter. Und wenn Klaus meint, inner­parteilich Ander­s­denk­ende als „destruk­tive Kräfte“ öffentlich beschimpfen zu müssen, dann ist meine Antwort: Ein kon­struk­tiv­er Parteivor­sitzen­der sieht anders aus!

Gre­gor Gysi wird bei den näch­sten Wahlen eine große Rolle spie­len, auch wenn er es glück­licher­weise nicht nötig hat, seine Partei zu erpressen!

Davor müssen wir aber erst­mal auf dem Göt­tinger Parteitag einen neuen Parteivor­stand wählen. Dafür liegt seit gestern Abend bzw. der Pressekon­ferenz heute Mit­tag ein „drit­ter Weg“ vor. Kat­ja Kip­ping ist eine eben­so stre­itlustige wie kom­pro­miss­fähige Repräsen­tan­tin ein­er jun­gen LINKEN auf der Höhe der Zeit, die öffentlichkeitswirkam neue Fra­gen zu alten Grund­satzprob­le­men der Gesellschaft stellt und zum gemein­samen Nach­denken ein­lädt, ohne sofort alles bess­er zu wis­sen. Sie und Katha­ri­na Schwabe­dis­sen sind ein hochin­ter­es­santes Per­son­al-Ange­bot an die Partei.

Nun sieht sich die LINKE Schwarmintel­li­genz auch in Sach­sen mit der Her­aus­forderung kon­fron­tiert, dass der „dritte Weg“ seit dem Rück­zug von Oskar Lafontaine gestern am späten Nach­mit­tag streng genom­men nur noch der zweite ist. Denn mit dem Vorschlag – verzei­ht die saloppe For­mulierung“ – „Frauen-Duo“ sollte ja ein Duell Lafontaine/Bartsch ver­mieden wer­den. Rein chro­nol­o­gisch betra­chtet ist also der dritte Weg der zweite.

Das diskred­i­tiert ihn nicht, bedeutet aber für viele von uns ein Dilem­ma, dass sie sich zwis­chen Alter­na­tiv­en entschei­den sollen, die für sie kein Wider­spruch sind. Ich ver­hehle nicht, dass es aus mein­er Sicht Charme hätte, das Duo Kip­ping / Schwabe­dis­sen kön­nte sich auf einen Bun­des­geschäfts­führer Bartsch stützen. Auch ein Duo Bartsch /Kipping mit ein­er Bun­des­geschäfts­führerin Schwabe­dis­sen hätte sicher­lich viele Anhänger. Jedoch geht es nicht um meine Präferen­zen, es geht auch nicht um die Inter­essen von Sach­sen, es geht auch nicht um die Inter­essen von einzelne Strö­mungen in der Partei, es geht um die Gesamt­partei, dies muss allen Kan­di­dieren­den klar sein, wenn sie sich zur Wahl stellen. Let­z­tendlich geht es um das Über­leben des gesamt­deutschen Pro­jek­tes der LINKEN.
Da zwis­chen der heuti­gen Region­alkon­ferenz in Schkeu­ditz und dem Bun­desparteitag in Göt­tin­gen noch viel Wass­er die Elbe und den Rhein hin­un­ter­fließt – schaun mer mal!

Wir wer­den ohne­hin nur erfol­gre­ich sein, wenn wir glaub­würdi­ger wer­den: Mit der rechtswidri­gen Unter­drück­ung ein­er Mit­glieder­be­fra­gung zur kün­fti­gen Parteiführung, wie von der amtieren­den Parteispitze geschehen, wer­den wir das aber nicht schaf­fen! Auch nicht mit der Unter­drück­ung von Diskus­sio­nen, egal ob es um Inhalte oder Per­son­al­fra­gen geht – wir sind schließlich nicht in Nord­ko­rea!

Inter­es­sante LINKE Poli­tik, die in die Mitte der Gesellschaft zielt, um sie für eine gerechtere Welt zu gewin­nen, darf nur eine einzige unum­stößliche Bedin­gung ken­nen: den Respekt vor uns selb­st und den Men­schen, für die und mit denen wir Poli­tik machen. Denn:

Es ret­tet uns kein höh’res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tri­bun
Uns aus dem Elend zu erlösen
kön­nen wir nur sel­ber tun!

Ich danke Euch für die Aufmerk­samkeit! Die Region­alkon­ferenz ist eröffnet.